A) Konzepte von Urzuständen und Urelementen, Weltentstehung und Weltuntergang

Die Kulturen, die im GRK untersucht wurden, konstruieren diverse Konzepte von Urzuständen, Urprinzipien und Wirkkräften, die an der Genese des Kosmos und dessen Ausdifferenzierung beteiligt sind.

Als prototypisch für die Urzustände wurden dabei Dunkelheit, Unbegrenztheit und Strukturlosigkeit gedacht. In Ägypten z. B. werden diese Eigenschaften dem Urwasser zugeschrieben. Da dort die jährliche Nilflut prominent ist und für alles Leben und Fruchtbarkeit verantwortlich ist, existiert in der altägyptischen Gesellschaft das scheinbar universale Phänomen einer die Welt vernichtenden globalen Flut nicht. Konzepte eines oder zweier Urwasser begegnen in altmesopotamischen Texten, hinzu treten hier jedoch noch andere Vorstellungen wie die einer Urerde bzw. eines Erde-Himmel-Paares oder die des Abstraktum 'Ewigkeit', deren Pluralität noch weiter zu untersuchen und zu erklären wäre.

Allgemein ließen sich bei Konzepten von Urzuständen/Urprinzipien für die im GRK behandelten Kulturen drei Kategorien unterscheiden:

  1. eine Leere, ein 'Nichts',
  2. ein abstraktes immaterielles Prinzip,
  3. eine präexistente Urmasse oder ein Urstoff/Urelement.

Eine systematische Untersuchung der einzelnen Urelemente steht für viele Kulturen noch aus und konnte im GRK teilweise durch Tandemprojekte auch mit einem kulturübergreifenden Erkenntnisgewinn erfolgen.

Für die Frage nach inner- und transkultureller Tradierung und Adaptation eignet sich der Blick

a) auf das Erzählen von der Entwicklung der differenzierten Welt und dem Wirken formierender Agenten (z. B. Schöpfergötter mit kulturimmanenten Spezifika und kulturübergreifenden Parallelen) und
b) auf das Erzählen von der einmaligen oder zyklischen Wiederauflösung der kosmischen Strukturen und deren Gründen, die wiederum auf die Genese rückverweisen können.

Auch die Weltuntergangsvorstellungen ließen sich drei Kategorien zuweisen, die ihren spezifischen zeitlichen Verortungen und Frequenzen Rechnung tragen:

  1. Weltuntergang und Neuentstehung als einmalige Ereignisse der Vergangenheit,
  2. Vergehen und Werden als zyklische Ereignisse,
  3. das Weltende als Ereignis der Zukunft.

Konzepte von Weltenden, ihre narrative Formung und Modi ihrer Adaptation in der griechisch-römischen Antike (pagan und christlich) wurden in einer Dissertation (D. Bärsch) am GRK bereits untersucht.

Die Frage, inwieweit bestimmte Konzepte von Weltentstehung und Weltende zwischen den alten Kulturen gewandert sind und sich wechselseitig beeinflusst haben, ist zwar verschiedentlich behandelt worden, jedoch ließen insbesondere ein systematischer Blick auf die Urelemente, eine Beachtung der spezifischen Kontexte und gesellschaftlichen Funktionen und der damit einhergehenden Re- bzw. Neuformulierungen der Konzepte sowie die Erweiterung des Untersuchungszeitraums auf das Mittelalter neue Erkenntnisse zur Konzeptbildung unter den Leitaspekten Universalität, Spezifität und Tradierung erwarten.


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