Das menschliche Leben zeigt sich seit jeher durch natürliche Abläufe wie den Wechsel von Tag und Nacht, die Mondphasen, den scheinbaren Lauf der Sternbilder oder die Jahreszeiten mit ihren meteorologischen Implikationen geprägt und strukturiert. Diese Orientierung an der Natur, das Nutzbarmachen von und das Arrangement mit natürlichen Gesetzmäßigkeiten und die normativ gestützten Erwartungen an die Natur können empfindlich gestört werden durch die Konfrontation mit Naturgewalten wie der Vergletscherung weiter Teile Europas während der letzten Kaltzeit oder Überschwemmungen und Dürren. Auch natürliche Extremereignisse wie Erd- und Seebeben und Vulkanausbrüche mit ihren Folgen waren existentielle Bedrohungen, die immer wieder zu massiven Schäden und Verwüstungen führten und routinemäßig ablaufende soziale Prozesse abstoppten oder – im Rahmen von Bewältigungsstrategien – umlenkten. Auch das Erscheinen von Kometen oder das Eintreten von Sonnen- und Mondfinsternissen, die als spektakuläre und weithin beobachtbare Phänomene in den Erwartungshorizont des Menschen "einbrachen" und den gewohnten Lebenslauf unterbrechen, werden aufgrund ihrer scheinbaren Außergewöhnlichkeit mit einer besonderen Signifikanz aufgeladen.
Die historische Katastrophenforschung hat sich diesen Phänomenen und Extremereignissen in den vergangenen Jahren vermehrt gewidmet und bietet mit ihrem breiten, diskursanalytischen und mentalitätsgeschichtlichen Ansatz ein wichtiges Analyseinstrument.
Für einen interkulturellen Vergleich bot es sich an, eines der genannten liminalen Phänomene herauszugreifen und dabei zunächst das Spektrum der Textsorten festzustellen, in denen das Ereignis in der jeweiligen Kultur thematisiert und konstruiert wird oder auch als metaphorischer Bildspender auftritt. Danach galt es, die verschiedenen "Bilder" dieses Phänomens zu untersuchen, die in spezifischen Benennungs-, Beschreibungs- und Darstellungsformen, Erklärungs-, Deutungs- und auch Inszenierungsarten entworfen werden, diese diskursiv einzuordnen und zu erklären.
Zu fragen war, in welchen Kontexten gesellschaftlich getragene Bewältigungsstrategien erstmals ihren Niederschlag in der Menschheitsgeschichte fanden und ob uns bestimmte Muster in der Wahrnehmung, Erklärung, Metaphorisierung, Deutung und Verarbeitung liminaler Naturphänomene in verschiedenen Kulturen in ähnlicher oder identischer Weise begegnen. Dies galt es in kontrastivem Vergleich zu prüfen und Erklärungen für mögliche Übereinstimmungen zu finden. Zudem war zu untersuchen, wie diese Muster korrigiert, modifiziert und neu aufgerufen werden können, welche kulturspezifischen Ausprägungen und Instrumentalisierungsmöglichkeiten demgegenüber existieren und welche Unterschiede und Wandlungen im Verhältnis von Mensch und Natur über die Paradigmata "Naturphänomen", "Naturgewalt" und "Naturkatastrophe" greifbar sind.
Forschungsprojekte
- MondSymbolik - MondWissen. Lunare Konzepte in den ägyptischen Tempeln griechisch-römischer Zeit (Victoria Altmann-Wendling - Ägyptologie)
- Die Darstellung von Naturphänomenen in der byzantinischen Literatur des 9. bis 11. Jahrhundert (Laura Borghetti - Byzantinistik)
- Das mesopotamische Konzept von Zeit in Natur und Gesellschaft des 1. Jahrtausends v. Chr. (Tim Brandes - Altorientalische Philologie)
- Lights of Eternity – Untersuchungen zu Konzepten, Tradition und Innovation in den altägyptischen Himmelsdiagrammen (Yossra Ibrahim - Ägyptologie)
- Die Rolle der Nacht in der archaischen und klassischen griechischen Literatur (Marie-Charlotte von Lehsten - Klassische Philologie)