Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper gehört seit dem späten Mittelpaläolithikum zum Menschen – in seiner natürlichen wie in seiner kulturellen Entwicklung. Dabei spielen nicht nur die 'normalen' Körperfunktionen und -vorgänge eine Rolle, sondern – in weit größerem Maße – die praktische und theoretische Beschäftigung mit Krankheit, Heilung und Tod, d. h. mit Aspekten eines 'nicht normal' funktionierenden und vergänglichen menschlichen Körpers. Die 'normalen' Funktionen des menschlichen Körpers (Nahrungsresorption, Ausscheidungen, Zeugung, Wahrnehmung, Denken etc.) sind komplexe Vorgänge, die in den zu untersuchenden Kulturen unterschiedlich erklärt werden. Parallelen und Abgrenzungen zu den Göttern (hinsichtlich Wahrnehmung, Emotionen und Denken), aber auch zur Tierwelt (hinsichtlich 'niedriger' Funktionen: Verdauung, Wahrnehmung, sexueller Reproduktion) werden vielfältig und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung gezogen. Oft wird hier nicht nur die heute als 'unbelebt' aufgefasste Natur mit animistischen Metaphern und Erklärungsmodellen wie ein Lebewesen beschrieben und gedeutet. Auch erscheinen Götter ebenso wie geologische Phänomene in anthropomorpher und theriomorpher Gestalt und Wirkung, sodass die Grenzen zwischen belebter und unbelebter Natur, aber auch zwischen Menschen und Göttern fließend sind.
Funktionsstörungen führen zu vertieften Überlegungen, was 'normales Funktionieren' bedeutet und wie es zu erklären ist (Aufbau des Körpers mit seinen elementaren Bestandteilen, Lage und Funktion einzelner Organe, Funktion und Grund des Blutflusses, der Atmung, der Wahrnehmung, des Denkens etc.). Parallel dazu werden auf einer theoretischen Ebene Ursachen für Funktionsstörungen gesucht, die an Vorstellungen vom 'normalen' Funktionieren gekoppelt sind und teilweise zu heilkundlichen Konzepten ausgearbeitet werden. Zudem werden praktische Therapien entwickelt, die in der Regel aus chirurgischen Maßnahmen und/oder der Verabreichung von Heilmitteln bestehen und u. U. von rituellen Handlungen und Sprüchen begleitet sind. Dabei richten sich die Heilbehandlungen gegen die vom jeweiligen Erklärungsmuster vorausgesetzten Urheber/Gründe der Leiden. Noch heute spiegeln sich in den uns zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Behandlungsformen unterschiedliche Konzepte von Krankheit und Heilung wider.
Aspekte der Vergänglichkeit lassen sich über die Beschäftigung mit Krankheiten und Alterungsprozessen und dem (Nicht-)Erfolg von Heilmitteln und -techniken, aber v. a. auch aus den Auseinandersetzungen mit dem Thema 'Tod' ablesen. Dies betrifft z. B. die Wahrnehmung und Beschreibung von Sterbeprozessen und Sterberitualen sowie Darstellungen von und Umgangsmodi mit toten Körpern (vor oder statt einer eigentlichen Bestattung), deren Kenntnis sich aus archäologischen Befunden, Bildern und Objekten, naturkundlichen und heilkundlichen Quellen im engeren Sinn sowie aus fiktionalen und religiösen Texten gewinnen lässt, die Aufschluss über vorliegende Konzepte und mögliche Adaptationen und Neuformierungen geben.
abgeschlossene Dissertationsprojekte:
- Konzepte des Auges im alten Ägypten (Nadine Gräßler - Ägyptologie)
- (Teil-)Blinde, Blendung, Verblendung - Untersuchungen zum Thema 'Blindheit' in der griechischen Bildwelt des späten 8.-4. Jh. v. Chr. (Sarah Prause - Klassische Archäologie)
- Konzepte hethitischer Heilpraktik (Valeria Zubieta Lupo - Altorientalische Philologie)
- Konzepte von Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten (Simone Gerhards - Ägyptologie)
- Archäologisch-philologisch-ethnohistorische Studie über grundlegende Aspekte des Penis, seine Symbolik und Bedeutung im Alten Ägypten (Judit Garzón Rodríguez - Ägyptologie)
- Der tote Körper. Untersuchungen zu Konzepten vom Leichnam im Alten Ägypten (Rebekka Pabst - Ägyptologie)
- The Theory of Healing in Ancient Egypt: The Biophysical and Cultural Realities of Healing Practices from the Nile Valley during the Late Second Milennium BCE (Jonny Russell - Ägyptologie)
- Human Sacrifice in the Ancient Near East (David Usieto Cabrera - Vorderasiatische Archäologie)
aktuelle Forschungsprojekte:
- Localization of the Avicennean inner senses in a Hippocratic Body (Shahrzad Irannejad - Pharmazeutische Biologie)
- Tote Körper: Semantiken des Sterblichen / Vergänglichen in den mittelalterlichen deutschen Texten (Oxana Polozhentseva - Germanistik)
- Ursprünge und Entwicklung altägyptischer Körperkonzepte in prä- und frühdynastischer anthropomorpher Plastik (Sonja Speck - Ägyptologie)
- Concepts of visual perception in Greek scientific thought from the 5th century BC to the 2nd century AD (Aleksandar Milenković - Klassische Philologie)
- An den Rändern der Wunde. Griechisch-römische Figurationen von Versehrtheit zwischen medizinischem und literarästhetischem Diskurs (Christoph Appel - Klassische Philologie)
- Die Arena zu Hause: Konzepte von Körper und Gewalt auf Mosaikdarstellungen von Amphitheater-veranstaltungen der römischen Kaiserzeit (Francisco José Gómez Blanco - Klassische Archäologie)
- Konzepte und Praktiken des idealen Sterbens in Byzanz vom 4. bis zum frühen 13. Jahrhundert (Sibel Kayan - Byzantinistik)
- Der Umgang mit dem toten Körper: Bestattungsformen und Todeszeremonien im vorislamischen Persien (Maral Schumann - Vorderasiatische Archäologie)
- Konzepte vom toten Körper in der römischen Bildkunst von der späten Republik bis zur mittleren Kaiserzeit (Nathalie Julia Rodriguez de Guzman - Klassische Archäologie)
- Medizin und Ärzte im Ausland. Zirkulation von Experten und Fachwissen im 2. Jt. v. Chr. im Alten Orient (Letizia Savino)