Die Wüste im religiösen Leben

Im alten Ägypten und Mesopotamien bildete die Wüste einen mythologischen Kontrastort zum Bereich der bewohnten, fruchtbaren Flusstäler. Die Wüste spielte eine wichtige Rolle im religiösen Leben: als Ort für Rituale der Heilung und Reinigung oder für Rituale der Transformation und des Übergangs.

Die antiken Hochkulturen des Vorderen Orients – Mesopotamien und das alte Ägypten – waren an den großen Strömen Nil bzw. Euphrat und Tigris gelegen und von Wüsten oder Steppen umgeben. Der täglich erlebte Kontrast zwischen den bewohnten, fruchtbaren Flusstälern und der Ödnis der Wüsten spiegelte sich auch in der Mythologie und Religionspraxis.

Im alten Ägypten galt die Wüste als heiliger Ort, an dem die Toten in Pyramiden und Gräbern bestattet wurden, bereit, mit der untergehenden Sonne in die Unterwelt zu gelangen. Die Wüste war das Reich von Seth, dem Gott des Chaos, und zugleich ein Ort des Übergangs ins Jenseits. Der Schakalgott Anubis – in Anlehnung an sein tierisches Gegenstück, das man nachts in den Nekropolen umherstreifen sehen konnte – war für die Einbalsamierung des Leichnams und die Pflege des mumifizierten Körpers zuständig. In der Praxis wurden diese Aufgaben von Balsamierungs-Priestern übernommen, die während dieser komplexen Rituale Anubis-Masken trugen.

Die Mesopotamier (wie auch ihre Nachbarn in Israel) nutzten die Wüste als Ort für religiöse Rituale der Heilung und Reinigung. Die Wüste (Wildnis) galt dabei als ein reiner Ort des Übergangs zur Unterwelt, an den jegliches Übel und krankheitsbringende Dämonen verbannt werden konnten, und wo auch Heilpflanzen gesammelt wurden.

 

 

Das Luftbild zeigt den deutlichen Kontrast zwischen fruchtbarem Niltal und Wüste, von den alten Ägyptern „schwarzes Land“ und „rotes Land“ genannt.

Darstellung des schakalköpfigen Gottes Anubis, der die Mumie des Grabbesitzers umsorgt. Sie werden flankiert von den Göttinnen Isis und Nephthys in Gestalt zweier Falken. Malerei aus dem Grab des Amennakht (TT218) in Deir el-Medina, Theben (Ägypten; ca. 1250 v. Chr.).

 

Kopf eines Schakals, den Gott Anubis repräsentierend, aus dem Grab des Pharao Tutanchamun (Theben, Ägypten, Tal der Könige; 14. Jh. v. Chr.).

Abrollung eines Rollsiegels. Darstellung eines Heilungsrituals in einer Rohrhütte (Mesopotamien; ca. 900–600 v. Chr.).