Wunder und Schrecken der Wüste

Die Wüste repräsentiert häufig eine „Gegenwelt“, einen Kontrast-Ort zur zivilisierten Welt der Städte und Siedlungen, der gleichermaßen voller Schrecken und Wunder ist. Dieses Wüstenbild ist sowohl in den Kulturen des Orients wie auch im Abendland bereits in der Antike verbreitet. Wüsten werden als einsame, lebensfeindliche Gegenden voller realer Gefahren wahrgenommen, in denen man von wilden, gefährlichen Tieren wie giftigen Schlangen, Skorpionen und Löwen, von Räubern oder anderen Gesetzlosen bedroht wird. Neben diesen realen Wesen bevölkerte die menschliche Fantasie die Wüste auch mit allerlei Wundervölkern und sagenhaften Fabeltieren wie Riesenschlangen oder Drachen.

Zu den faszinierendsten Wüstenwesen aus der Fabelwelt der Antike und des Mittelalters zählt der Basilisk. Bereits der römische Naturkundler Plinius der Ältere (1. Jh. n. Chr.) beschreibt ihn als eine Schlangenart, die in der libyschen Wüste (Cyrenaica) vorzufinden sei und übernatürliche Kräfte besitze. So könne der Basilisk allein durch seine Berührung oder seinen Atem „Kräuter versengen und Steine sprengen“. Als besonders gefährlich für den Menschen galt der tödliche Blick des Basilisken, der, ähnlich wie der seiner Mutter, der Gorgonin Medusa, seine Feinde versteinern oder verbrennen könne.

Der römische Dichter Lucan (1. Jh. n. Chr.) beschreibt, wie der Basilisk entstand: Der griechische Held Perseus köpfte die schlangenhaarige Medusa und flog mit Hilfe der fliegenden Schuhe des Götterboten Hermes über Libyen nach Griechenland. Dabei sei bei der Berührung ihres tropfenden Blutes mit dem Wüstensand eine Vielzahl von übernatürlichen Kreaturen und Schlangen hervorgebracht worden.

„So flog er unter Westwind in anderer Richtung und nahm seinen Weg über Libyen hinweg, das weder Bebauung noch Bepflanzung kennt, weil es Glutgestirnen und Helios ausgesetzt ist. […] So dürr in jenem Land das Erdreich ist, so wenig sein Gefilde irgendetwas Nützliches hervorbringt, wurde es dennoch vom Gallert des faulig tropfenden Medusenhaupts, von grausem Tau aus Ungeheuerblut befruchtet — die Hitze hegte diesen Tau und kochte ihn im mürben Sande fest. Als die Fäulnis hier zum ersten Mal einen Kopf vom Staub emportrieb, führte sie […] (den) Basilisk (herauf), der sich alle Untertanen weit und breit vom Leib hält und in leergefegter Wüste König ist.“
Lucan, Pharsalia, Buch 9, 693-726 (Übersetzung W. Ehlers 1978)

 

Darstellung des Basilisken als Mischwesen zwischen Schlangendrache und Vogel. Radierung von Melchior Lorck (1548). Statens Museum for Kunst (National Gallery of Denmark).

Medusa-Kopf aus Ton. Solche Darstellungen könnten eine magische Schutzfunktion (z.B. zur Abwehr von Übel) erfüllt haben. Italien; ca. 6. Jh. v. Chr.

Perseus mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa. Bronzestatue von Benvenuto Cellini (Florenz, Italien; 16. Jh.).