Der Wald als zauberhafter Ort

In vielen Kulturen spielt der Wald als zauberhafter Ort eine bedeutende Rolle. Im antiken Verständnis sind die Protagonisten, die dort wirken, neben verzauberten Kreaturen, vor allem Götter, Dämonen und Baumgeister.

Im Alten Ägypten versorgten Baumgöttinnen die Verstorbenen mit Nahrung. Zwei Platanen bildeten den Eingang zur Unterwelt. Aus der griechischen Antike stammt die Vorstellung von den Baumnymphen, weiblichen Naturgeistern und ‑personifikationen, welche oftmals als Gefolge von höheren Gottheiten auftauchen. Auch die Mänaden waren solche mythischen Begleiterinnen des Dionysos, des Gottes des Weines und der Fruchtbarkeit. Zusammen mit den Satyrn – durchtriebenen Dämonen, halb Mensch halb Tier – begleiteten sie wild tanzend und laut musizierend die dionysischen Züge.

Die Gegend des alten Zweistromlands war schon in der Antike arm an Wäldern. Doch Holz war auch hier eine wichtige Ressource, dringend benötigt zum Bau der riesigen Tempel und Paläste. Im berühmten Gilgamesch-Epos erleben die Helden Gilgamesch und Enkidu Abenteuer im Zedernwald. Dort müssen sie zuerst den von den Göttern eingesetzten Hüter des Waldes, den Dämon Huwawa, erschlagen, bevor sie die begehrten riesigen Bäume fällen können. Eine Tontafel beschreibt den Wald als einen zauberhaften Dschungel voller Vögel und anderer wilder Tiere, der die Helden bei ihrer Ankunft in Schrecken versetzt.

„Sie standen (da) am Rande des Waldes, betrachteten die Höhe der Zedern, betrachteten den Weg hinein in den Wald. Wo Huwawa kam und ging, war ein Pfad. […] Sie betrachteten den […] Thronsitz von Göttinnen.

Auf dem Antlitz der Erde trug(en) die Zeder(n) ihre Pracht (zur Schau), süß war ihr Schatten, voller Liebreiz. Ganz verschlungen war der Unterwuchs, (wie) eine dichte Decke war der Wald. […] Über sechzig Ellen war die Zeder schorfig von (Harz-)Klumpen (übersät); Harz sickerte heraus, tropfte herab wie Regen(tropfen). [lauter Vogelgesang und Tiergeräusche erklangen]
Als die Zeder ihren Schatten warf, fiel Schrecken auf Gilgamesch; Lähmung ergriff seine Arme und Schwäche befiel seine Knie.“
Gilgamesch-Epos, 5, 1-38 (Übersetzung: nach F. N. H. Al-Rawi und A. R. George 2014)

 

 

Gilgamesch-Epos, Tafel 5.
Umzeichnung einer Tontafel mit Keilschriftinschrift
aus Niniveh. Neuassyrisch, ca. 900-600 v. Chr.

Trinkschale, attisch-rotfigurig, griechisch, ca. 460 v. Chr.

Bemalung auf einem Uschebti-Kasten, ägyptisch, späte 19. Dynastie, um 1200 v. Chr.

Reliefplatte, altbabylonisch, 19.–17. Jh. v. Chr.