Die Liminalität des Waldes: Kontaktzone zwischen Menschen und Göttern

In den Quellen des Altertums wird erzählt, der Wald sei von unterschiedlichsten Wesen bewohnt: magischen Tieren, scheuen Kreaturen, riesigen Monstern und launischen Gottheiten. Letztere sahen den Wald als ihr Eigentum an und konnten über die Nutzung seitens der Menschen bestimmen. Für diese Gottheiten war er auch ein Versteck, wo sie ihren Gelüsten freien Lauf lassen konnten. So entstand der heilige Hain: ein Waldstück, das einer bestimmten Gottheit geweiht war, der die Menschen hier mit Ritualen Respekt zollten. Häufig brachten Jäger der Gottheit – wie der Jagdgöttin Artemis/Diana – im Wald Opfer dar, um sie um Erlaubnis zur Jagd zu bitten.

Als ein sakraler Ort bedarf der heilige Hain des Schutzes. Beispielsweise war im babylonischen Gilgamesch-Epos der Wächter des heiligen Zedernwaldes der Dämon Huwawa. Gilgamesch und Enkidu, die nach Ruhm strebten, töteten Huwawa und fällten den Wald.

Auf die Zerstörung heiliger Bäume folgt oft Strafe. Der König Erysichthon, eine Figur der griechischen Mythologie, ließ die heilige Eiche der Demeter fällen. Daraufhin wurde er von der Göttin mit unstillbarem Hunger bestraft, sodass er schließlich sogar sich selbst auffraß.

Der Wald war auch Treffpunkt für die Mänaden. Diese – nach den mythologischen Figuren benannten – Kultanhängerinnen des Gottes Dionysos gaben sich im Wald orgiastischen Gelagen hin. Das Ende des mythologischen Königs von Theben, Pentheus, zeigt, wie stark Dionysos’ Einfluss auf diese Frauen war: Nachdem Pentheus den Gott beleidigt hatte, wurde er von seiner eigenen Mutter und seinen Tanten, die im Wald am dionysischen Fest teilnahmen, im Wahn für ein wildes Tier gehalten und zerrissen.

Pentheus wird von Mänaden zerrissen.
Römisches Fresko in der Casa dei Vettii (VI 15,1) in Pompeji, 1. Jh. n. Chr.